Von Ingrid Weckert
Wilhelm Gustloff, 1895 in Schwerin geboren, lebte ab 1917 als Angestellter eines schweizerischen Forschungsinstituts in Davos. Dort schloss er sich der nationalsozialistischen Bewegung an und wurde schließlich 1932 Leiter der Landesgruppe Schweiz. Da er lungenkrank war, lebte er ziemlich zurückgezogen. Vier Tage nach seinem 41. Geburtstag wurde er von dem jüdischen Mörder Frankfurter erschossen.
David Frankfurter wurde 1911 in Vincovci (Jugoslawien) geboren. Seine Eltern wanderten nach Deutschland aus, wo sich sein Vater als Rabbiner in Frankfurt/Main niederließ. David erhielt eine streng orthodoxe Erziehung. Nach Abschluss der Schule begann er Medizin zu studieren, schaffte aber das Vorexamen nicht. Als 22jähriger ging er in die Schweiz, nach Bern, und nahm dort seine Studien wieder auf. Aber auch hier brachte er kein Examen zustande. Sein Lebenswandel ließ zu wünschen übrig. Seine Familie in Deutschland machte ihm heftige Vorwürfe deswegen und sagte sich schließlich von ihm los.
Eines Tages, Anfang des Jahres 1936, kaufte sich Frankfurter einen Revolver, ging auf einen Übungsplatz und begann mit Schießübungen. Einige Tage später verließ er Bern und fuhr nach Davos. Zu jener Zeit herrschte in den einzelnen Kantonen der Schweiz unterschiedliches Strafrecht. In Graubünden, zu dem Davos gehörte, gab es bei Mord keine Todesstrafe. Nachdem Frankfurter das herausgefunden hatte, »fasste er den Entschluss«, wie er später bei der polizeilichen Vernehmung aussagte,
»einen prominenten Vertreter des Nationalsozialismus zu töten«.
In Davos angekommen, ließ Frankfurter zunächst einige Tage vergehen und kundschaftete die Örtlichkeiten aus. Am Abend des 4. Februar ging er zur Wohnung von Gustloff und verlangte, ihn in einer dringenden persönlichen Angelegenheit zu sprechen. Frau Gustloff, die die Tür geöffnet hatte, führte ihn zu ihrem Mann in das Arbeitszimmer. Gustloff begrüßte ihn und fragte nach seinem Begehr. Darauf erklärte Frankfurter, er sei Jude und gekommen, das jüdische Volk zu rächen. Dann schoss er mehrere Male auf Gustloff, der tot zusammenbrach.
Frankfurter versuchte zunächst zu fliehen, wurde aber noch am selben Abend von der Schweizer Gendarmerie festgenommen. Bereits am nächsten Morgen war ein Vertreter der LICA zur Stelle und verlangte, zu der Voruntersuchung hinzugezogen zu werden.
Bei den ersten Vernehmungen behauptete Frankfurter, dass er die Tat mit Überlegung und Vorsatz ausgeführt habe. Er habe als Jude sein Volk an einem prominenten Vertreter Hitler-Deutschlands rächen wollen. Die jüdische Presse feierte ihn als neuen »David«, der den Riesen Goliath erschlagen habe. Der jüdische Journalist Emil Ludwig schrieb eine Art »Heldenepos«: »Der Mord in Davos«. – Nach eindringlichen Unterredungen mit seinem Rechtsanwalt, einem hochbetagten Züricher Juristen, der die Stelle des abgewiesenen Moro Giafferi eingenommen hatte, änderte Frankfurter seine Taktik. Er ließ durchblicken, dass die Idee des Mordes ihm von außen eingegeben worden sei, dass er Hintermänner gehabt habe, die ihn zu dieser heroischen Tat angestiftet hätten. Schließlich wurde auch diese Version fallen gelassen und das Ganze als ein bedauerlicher Unfall hingestellt. In der Hauptverhandlung sagte sein Verteidiger:
»Es war halt eine automatische Pistole, mit der das unglückliche Opfer des Nazismus sich in der Verzweiflung in Gustloffs Zimmer vor einem Hitlerbild das Leben nehmen wollte, wobei eben die automatische Pistole in der falschen Richtung losging, so dass nicht Frankfurter, sondern Gustloff getroffen wurde.«
Frankfurter wurde zu 16 Jahren Strafhaft verurteilt, der im Kanton Graubünden zulässigen Höchststrafe. Nach 1945 wurde er aus der Haft entlassen. Aus dem Vorspann eines Fernsehfilms, der vor einigen Jahren über die deutschen Sender ausgestrahlt (und Ende 1979 wiederholt) wurde, konnte man entnehmen, dass Frankfurter nach Israel ging und dort von einer »Wiedergutmachungs-Entschädigung« lebte, die der westdeutsche Teilstaat ihm zahlte.
Professor Dr. Friedrich Grimm hatte als Anwalt der Nebenklägerin, Frau Gustloff, auch an diesem Prozess in Chur teilgenommen. Er war noch Jahre später davon überzeugt, dass Frankfurter Hintermänner gehabt haben muss.
»Die ganze Art seiner Verteidigung und die Vorbereitung der Tat sprachen dafür, dass er nur ein Werkzeug war, und die Drahtzieher anderweitig zu suchen waren…. Starke Indizien sprachen gegen den Kreis um die ›Lica‹«.
Aber auch hier fehlte der eindeutige Nachweis, ohne den in einem Rechtsstaat keine Tatsache als erwiesen gilt.
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Quelle: Ingrid Weckert – Feuerzeichen
